In Göttingen

Jahreshauptversammlung 2025

Einwegkarton oder Wanne, Innenstadtentwicklung, Selbstscannerkassen in der Buchhandlung: Unterschiedlichste Themen wurden auf der Jahrestagung des Börsenverein Nord am 17. und 18. Mai besprochen. Aus dem 87.301 Quadratmeter großen Landesverbandsgebiet waren die Mitglieder nach Göttingen gekommen - und dennoch konnte man den regen Austausch als fast familiär bezeichnen: Man kennt sich.

„Unsere wichtigste Beziehung, die wir im Einzelhandel zu den Kunden haben, ist analog“, sagt Hogrefe-Vertriebsleiter Carsten Königsberg. „48 Prozent des Umsatzes im deutschsprachigen Raum (und zwar ohne Amazon) machen wir mit Buchhandlungen. Wobei ein hoher Umsatzanteil das Besorgungsgeschäft ausmacht – insbesondere bei den Kinderbüchern zu psychologischen Belastungen von Albträumen bis Wut würde er sich wünschen, dass sie mehr Präsenz im stationären Bereich bekommen. Der Hauptsitz von Hogrefe liegt in Göttingen, so dass die Mitglieder des Börsenvereins Nord zu ihrem zweitägigen Treffen zunächst im Verlagshaus zusammenkamen.

G.-Jürgen Hogrefe als Chef des psychologischen Fachverlags mit 620 Mitarbeitern stellte das Unternehmen vor und nicht wenige der knapp 60 Zuhörerinnen staunten, dass Hogrefe neben Göttingen noch 17 andere weltweite Standorte und Unternehmen hat, in diesem Jahr ist Mexiko dazugekommen.

Sich besser kennenlernen steht im Fokus der Nord-Treffen, und nach dem Verlag erklärten im Gespräch mit Landesverbandsgeschäftsführer Volker Petri die Oldenburger Buchhändlerin Hanna Maschke und ihr Mann, warum sie im April in Heiligenhafen Deutschlands ersten Self-Service-Buchhandlungsshop eröffnet hat. „Die Innenstadtentwicklung war so, dass immer weniger Kunden kamen und wir uns schweren Herzens entschließen mussten, unsere Buchhandlung dort zu schließen – Maschke hat noch zwei weitere Buchhandlungen in Oldenburg und Grömitz. Insbesondere die Personalkosten ließen sich nicht mehr wirtschaftlich darstellen – und so entstand die Idee:

Wie wäre es, ein begrenztes Buchangebot ohne Personal anzubieten? Mithilfe der Firmen Bezahlhelden und Anker wurden in Heiligenhafen bargeldlose Selfscannerkassen eingerichtet, die Kunden haben das Angebot – es gibt keine andere Buchhandlung mehr in Heiligenhafen – gut angenommen. „Und die touristisch geprägten Sommermonate haben ja noch nicht mal begonnen“, zog Maschke eine bislang positive Bilanz. Bei der Titelauswahl ist sie noch am Experimentieren: „Ein Tisch mit einer Non-Book-Aktion zu Marjolein Bastin-ist im Self Service interessanterweise nicht gelaufen, obwohl dieselbe Aktion in unseren anderen Läden sehr gut funktioniert hat“, wunderte sich Maschke. „Jetzt probiere ich es mit einem Thomas-Mann-Tisch.“ Die kritischsten Diskussionen führt sie mit den Kundinnen nie wegen der von ihr ausgewählten Titel, sondern darüber, dass man dort nicht mehr mit Bargeld bezahlen kann. Mehr dazu finden Sie hier.

Mit Verlegerin Reinhilde Ruprecht und Buchhändler Eckart Kohl tauchte LV Nord-Geschäftsführer Volker Petri in die 200-jährige Geschichte des Börsenvereins und der Buchbranche ein – Vandenhoeck & Ruprecht wie auch die Buchhandlung Calvör gehen auf den Universitätsdrucker und -buchhändler Abraham Vandenhoeck zurück und sind seit 1735 in Göttingen ansässig. Für Meinungsfreyheidt und gegen Preisschleuderey kämpften die Unternehmen, erfuhren die Zuhörer; ein altes Calvör-Buch machte die Runde, in dem links die Novitäten gedruckt verzeichnet sind , auf der rechten Seite wurden immer wieder neue Titel handschriftlich nachgetragen.

„Professoren wollten schon vor 200 Jahren, dass ihre Bücher in Buchhandlung gut sichtbar präsentiert werden, obwohl sie gar nicht ins Programm passten“, erinnerte sich Eckart Kohl.  Ist denn Tradition noch ein Wert bei Kunden?“, fragte Petri. „Nein – entscheidend ist heute das Profil einer Buchhandlung“, so Kohls Antwort. Und Reinhilde Ruprecht, die einige Bogendrucke auf säurefreiem Papier von Anfang des 19. Jahrhunderts verschenkte, ergänzte: „Das Mediennutzungsverhalten verändert sich immer wieder, denken Sie nur an die Young- und New-Adult-Titel, mit der Buchhandlungen heute riesige Erfolge erzielen. Und dass damit sogar eine Buchhandlung wie Graff in Braunschweig auf einer Buchmesse einen eigenen Stand hat – daran hätte vor zehn Jahren niemand gedacht. Der Buchhandel versteht es, mit der Zeit zu gehen.“

Zum Auftakt der formalen Jahreshauptversammlung in der Niedersächsischen Staats- und Universitätsbibliothek in Göttingen las Buchhändlerin Martina Bergmann spontan aus ihrem im Juli bei Eisele erscheinendem neuen Roman „Das Fräulein Buchhändlerin“ vor, in dem die Protagonistin Amanda in den 1960er Jahren gegen den Widerstand einiger Männer eine moderne Buchhandlung aufbaut.

Dann folgten beeindruckende Zahlen: 15.300.000 Einwohner umfasst das 87.301 Quadratmeter große Verbandsgebiet, 815 Bahnhöfe gibt es, „aber ich bin bislang noch nicht an allen ausgestiegen – das wird noch!“, meinte Volker Petri. Sein Ziel: Wenn die 640 Vollmitglieder (davon 430 Buchhandlungen), 20 weniger als vor einem Jahr, nicht zu ihm kommen, kommt er zu ihnen. „Nach dem Motto meiner Vorgängerin Carola Markwa ‚Geh raus, sei bei den Mitgliedern!“ haben wir im Jahr 2024 80 Besuche gemacht und 1.408 Kontakte“, erklärte der Geschäftsführer. Dieses Jahr hat er bereits 50 Besuche hinter sich, „und wir haben erst Mitte Mai …“

30.000 km sind er und sein Team mit Sebastian Kasten und Katrin Albert-Helbing gereist, 26 Veranstaltungen wurden gestemmt, 13 Newsletter veröffentlicht: „Wir wollen immer erreichbar sein, auch in jeder Notlage – wir lassen nicht freitags um 14 Uhr den Hammer fallen, rufen Sie uns einfach an!“, was mit lang anhaltendem Applaus quittiert wurde.

Aber nicht nur Mitgliedsbetriebe wurden besucht, sondern auch die regionalen Berufsschulen. Der LV Nord hat Angebote für Projektwochen in der BBS Osnabrück organisiert, eine Fachlehrer:innentagung in Hannover –„regionale Ausbildung ist ja gewünscht und muss auch von uns unterstützt werden“ so Volker Petri. Aktiv war der Landesverband zudem bei je zwei Buchbesprechungstagen (Belletristik & Sachbuch, Kinder- und Jugendbuch) und je zwei Einkaufstagen in Hamburg und Bremen: „Veranstaltungen müssen einen dreifachen Mehrwert bieten – für das Mitglied. Für die Branche, für den Verband“.

Aber all das wäre nicht denkbar ohne das Ehrenamt: „Wir Nordlichter sind in der Branche auf Bundesebene in vielen Gremien ziemlich gut vertreten, da bin ich schon ziemlich stolz auf dieses ehrenamtliche Engagement“, sagte Branka Felba, Vorstand der auf Bibliotheksdienstleistungen spezialisierten Buchhandlung Missink Link und Vorsitzende des Landesverbands Nord. „Das Ehrenamt ist die Stütze unseres Verbands. Mitgliedschaft muss auch Teilhabe sein.“ Allerdings: „Für unsere Arbeit im Vorstand brauchen wir den Input von allen Mitgliedern“, hatte sie am Vortag gemahnt und aufgefordert, Themen zu benennen, bei denen der Landesverbandsvorstand aktiv werden solle.

Beitragsgerechtigkeit war eines der Themen, ein anderes, länger diskutiertes die zunehmende Anforderung an Buchhandlungen, bitte recht fleißig Leseförderung zu machen – „bloß haben wir keine finanziellen Mittel dafür. Was aufregt, ist die gesellschaftliche Erwartungshaltung, dass Leseförderung offenbar einzig und allein die Sache des Sortiments vor Ort zu sein scheint“, führte Buchhändlerin Anja Vogel unter hörbarem Beifall der Zuhörenden aus. Buchhandlungen würden an dieser Stelle oft dafür gelobt, dass sie sich selbst ausbeuteten und immer noch eine Schippe an Engagement drauflegten, meinte Branka Felba:

„Da müssen wir als Landesverband mehr Lobbyarbeit machen und überhaupt den Wert von Leseförderung herausarbeiten.“ Eine andere Buchhändlerin berichtete, dass sie jedes Jahr 360 Schüler zum Welttag des Buches bei sich habe und auch die 360 Welttagsbücher bezahle: „Und dann sagen Lehrer, ‚Ihr habt die Bücher doch sowieso da‘.“ Vieles werde einfach als selbstverständlich eingefordert – eine Anspruchshaltung, die inzwischen vielen aufstößt.

Acht Veranstaltungen zum Thema Innenstadt, gleich nachdem die Deutschland-Studie der CIMA vorgestellt wurde, hat der LV Nord auf die Beine gestellt, berichtete Vorstandsmitglied Stefanie Thörmer. Die Buchhändlerin aus Lüchow erzählte, dass ihre Stadt („lange Geschäftsstraße, in der Mitte der Marktplatz“) eine Förderung bekommen habe für den Umbau der Innenstadt. „Der Plan war, die gesamte Innenstadt autofrei zu machen, aber die Geschäftsleute haben davon gar nichts erfahren, es gab einen großen Aufschrei. Jetzt wird unter Bürgerbeteiligung die Innenstadtgestaltung neu aufgesetzt“, hob Thörmer hervor, wie wichtig es als Einzelhändlerin zu engagieren. So seien auf Anregungen von Kollegen Blumenbeete angelegt worden, das mache die Ecke gleich freundlicher und erhöhe die Verweildauer.“ Thörmer schnitt auch das Thema Nachfolge an: „Die beiden vorigen Inhaberinnen haben erstmal weitergearbeitet, das hat den Übergang für uns und für die Kundinnen ungemein erleichtert. Ein solches Modell kann ich nur weiterempfehlen.“

Das Bewusstsein, sich für eine lebendige Innenstadt zu engagieren, sei in der Stadtpolitik oft noch nicht angekommen, meinte Vorstand Jens Finger, Filialleiter von Hugendubel in Greifswald.

„Da heißt es: Wir haben doch kaum Leerstand in der Innenstadt, aber dann sieht man vier Barbershops und drei Nagellackstudios und Banken – dabei brauchen wir ja mehr Läden, die die Leute zum Stöbern und Flanieren verleiten.“ Die Digitalisierung biete Möglichkeiten, neue Wege zu gehen, „auch für Klein- und Mittelbetriebe“. Inzwischen gibt es 75 Beiträge „Von Mitglied zu Mitglied“, „wir versuchen Wissenstransfer durch Stream und Aufzeichnungen zu vermitteln, und wir sind auf LinkedIn aktiv.“

Die Vorstandsmitglieder waren erkennbar als eingespieltes Team zu erleben – man hatte unwillkürlich den Eindruck: Die lachen, scherzen, machen Wortspiele, denen macht die ehrenamtliche Tätigkeit auch Spaß. „Der Blick auf Morgen lohnt sich schon heute“, führte die stellvertretende LV Nord-Vorsitzende Friederike Susanne Hemming, Produktmanagerin Verlagslösungen bei Libri, in das Thema Nachhaltigkeit ein. Zwei Veranstaltungen hat der Landesverband dazu organisiert, „es ist wichtig, Kräfte zu bündeln, damit nicht jeder vor sich hin murkelt – deswegen sind wir auch in der IG Nachhaltigkeit im Bundesverband aktiv.“ Die Herstellung sei eine neuralgische Stelle in den Betrieben – auch bei ihrer beruflichen Tätigkeit liege ein Augenmerk darauf, dass nicht zuviel gedruckt werde, hier komme PoD zum Einsatz. Ist die Wanne oder der Einwegkarton eigentlich nachhaltiger? „Die Frage wird gerade von der Universität Kassel geprüft, um welche Faktoren Wanne oder Karton besser abschneidet; wir gehen davon aus, dass es die Bücherwanne sein wird, aber das werden wir dann ja sehen.“

„Zu unseren Aufgaben gehört auch das Möglich- und Sichtbarmachen von Initiativen rund ums Buch“, erläuterte Vorstand Reinhilde Ruprecht, Verlegerin der Edition Ruprecht.

Vom Ahrensburger Kinder- und Jugendbuchfestival über Bremen liest und die Mirower Literaturtage bis zum Rostocker Vorlesewettbewerb (1.+2. Klassen sowie 3.+4. Klassen). Zudem, teilte Ruprecht mit, gebe es nach dem Verlagspakt Hamburg (700.000 Euro für unabhängige Verlage) Gespräche zu einem Verlagspakt Niedersachsen.

Nachdem Katja Berger, kaufmännische Geschäftsführerin von Harper Collins Deutschland, in ihrer neuen Funktion als Schatzmeisterin den Finanzbericht souverän und kenntnisreich erläutert hatte, war es für die Mitglieder nur folgerichtig, sie bei der anstehenden Wahl einstimmig im Amt zu bestätigen. Ebenfalls einstimmig wurden die Reppenstedter Buchhändlerin Anja Vogel und die Nordenhamer Buchhändlerin Anne v. Bestenbostel als Rechnungsprüferinnen wiedergewählt.

Mehr als 50 „Schützlinge“ hat das Sozialwerks des Deutschen Buchhandels im vergangenen Jahr unterstützt, berichtete die neue Geschäftsführerin Carola Markwa, die ihr Büro in den Geschäftsräumen des Landesverbands unterbringen konnte.

„Noch nie in meiner beruflichen Laufbahn habe ich so oft das Wort ‚Danke!‘ gehört wie in den vergangenen Monaten“, teilte sie ihre Erfahrungen. „Wenn man an beiden Augen am Grauen Star operiert werden muss und zwei Monate nichts machen kann, kann das für eine Buchhandlung schnell existenzbedrohend werden“, wies Markwa daraufhin, wie rasch ein Branchenmitglied unverschuldet in Not geraten. In diesen Fällen helfen das Sozialwerk, aber ebenso Auszubildenden etwa bei Berufsschulkosten, Ausbildungen etc.

Ihr Appell zu spenden oder noch besser für 50 Euro Jahresbeitrag Mitglied zu werden, verhallte nicht ungehört: Markwa konnte 1.620 Euro an Spenden und zwei Mitgliedschaften verbuchen.

Die nächste Jahreshauptversammlung des Börsenvereins Nord wird 2026 in Hamburg stattfinden.

Ein Börsenblattartikel von Stefan Hauck

Video zur Jahreshauptversammlung 2025

Traditionell trafen sich die Mitglieder des Landesverband Nord für ein Wochenende zur jährlichen Jahreshauptversammlung. Dieses mal in Göttingen. Wir wurden am Samstag herzlich im Hogrefe Verlag aufgenommen und konnten dort viele Themen ansprechen und diskutieren, bevor es am Abend im Restaurant und der Hotelbar zum gemütlichen Teil überging. Nach einem morgentlichen Stadtrundgang und dem Besuch in der Gipsabruckabteilung der Gustav-August-Universität wurde am Sonntag Mittag im Lesesaal die reguläre Hauptversammlung durchgeführt. Vielen Dank für das tolle Wochenende!